
Artikel von Hans Ferenz - Dezember 2011
Förderpreis für das Theater der Erfahrungen





Das „Theater der Erfahrungen“ erhielt den Förderpreis des Bezirks Tempelhof-Schöneberg für sein außerordentliches, herausragendes und nachhaltiges, freiwilliges Engagement. Der mit 1000€ dotierte Preis wurde von Bezirksbürgermeister Ekkehard Band verliehen. Besonders freute die Jury, dass dieses quicklebendige Altentheater seine Heimstatt im Bezirk Tempelhof-Schöneberg gefunden hat und dies seit seiner Gründung vor nunmehr 31 Jahren. Das Theater der Erfahrungen ist das älteste Seniorentheater Deutschlands.
Die rund 40 Spielerinnen und Spieler zwischen 60 und 90 Jahren des Theaters der Erfahrungen organisieren sich in drei Gruppen und nennen sich Spätzünder, Bunte Zellen oder OstSchwung. Mal tauchen sie spontan in der U-Bahn auf und mischen die Fahrgäste auf. Mal bringen sie Schwung ins Seniorenwohnheim. Und immer wieder spotten, lachen, singen und spielen sie ihre Theaterstücke von den Bühnen der Stadt, auf Tourneen in der Bundesrepublik, auf Gastspielen in Frankreich, Griechenland, in der Türkei und zukünftig auch in Polen. Neben den wöchentlichen Proben werden rund 100 Auftritte pro Jahr absolviert.
Inszeniert wird das „wahre Leben“: Jeder Satz, jede Handlung wird von den Spielerinnen und Spielern selbst erdacht. Oft mischen sich dabei eigene Alltagserfahrungen mit dem gelassenen Humor des Alters zu kritischen wie komischen Theaterproduktionen, weit entfernt von beschaulichen Schunkel-Inszenierungen und betulicher Nabelschau. Hintergründig wie fordernd wird formuliert:
Zwischen siebzig-plus und Exitus
liegen noch zwei Bundestagswahlen!
Aus dem Musical: Altes Eisen
Wie Liebe im Alter Verrücktes hervorbringen und unbedachte Vaterlandsliebe Verrückte stark machen kann, ist Thema im Theaterstück „Ach du liebes Bisschen“ der Gruppe OstSchwung, die unmittelbar nach der Wende entstand. Das nicht immer konfliktfreie multikulturelle Miteinander in einem Mietshaus thematisiert das Familienstück „Berliner Pflanzen“ der deutsch-türkischen Gruppe Bunte Zellen, das im kommenden Spätherbst uraufgeführt wird. Für Menschen mit Erinnerungsschwächen entwickelten die Spätzünder die satirische Küchenrevue „Eine Frau wird erst schön in der Küche“. Mit neuen Texten auf bekannten Melodien wird so manches überliefertes Vorurteil messerscharf zerlegt.
Mit der ersten Probe am 17. März 1980 startete das Theater der Erfahrungen als fahrendes Volkstheater durch Berliner Bezirke, ohne festen Spielort, getragen durch das Engagement alter Menschen. Der Andrang ist groß: Zweimal pro Monat können sich theaterbegeisterte Seniorinnen und Senioren im kostenlosen Nachwuchs-Workshop „Graue Stars“ auf den Bühnenbrettern ausprobieren und den Spaß am Spielen erfahren - angeleitet durch erfahrene Spielerinnen und Spieler. So wuchs im Laufe der Jahre das Theater der Erfahrungen weit über die drei Stamm-Gruppen Spätzünder, Ostschwung und Bunte Zellen hinaus: In neun Berliner Bezirken wurden bereits fünfzehn weitere Theater-, Pantomime-, Gesang-, Musik- und Schreibgruppen initiiert. Alle werden über die Aufbauphase bis hin zur Selbständigkeit betreut.
Parallel laufen Projekte an Berliner Bildungseinrichtungen: In Schulklassen ab Klassenstufe drei, in Erzieherfachschulen und in Hochschulen erarbeiten und präsentieren die Seniorinnen und Senioren des Theaters der Erfahrungen zusammen mit Schülerinnen, Schülern, Auszubildenden, Studentinnen und Studenten kleine Theaterstücke, aber auch mal eine Revue.
Zum 30. Geburtstag, im März 2010, schlossen sich die drei Theatergruppen – Spätzünder, Bunte Zellen, OstSchwung - für eine Produktion zusammen, schrieben, probten, spielten, sangen und präsentierten gemeinsam ihr Jubiläums-Musical „Altes Eisen“ – eine Bestandsaufnahme über das Leben im Alter zwischen Alltagsfrust und Erdbeertorte, über den immer währenden Wunsch nach Großer Liebe und über die Suche nach Ersatzteilen für die müder werdenden Knochen. Vorauseilendes Gelächter und hinterherhinkendes Nachdenken war garantiert. Alle zehn Vorstellungen – sieben in der Ufa-Fabrik, drei in der Werkstatt der Kulturen - waren restlos ausverkauft, über 2400 Besucher von Alt bis Jung applaudierten begeistert. Im Frühjahr 2012 wird das Musical nochmals aufgeführt.
Hinter den rund 40 Stammspielerinnen und Spielern, den rund 170 Mitgliedern der bezirksübergreifenden Gruppen, den jährlich rund 200 Schülern, Jugendlichen und Studenten in den Workshops und den weit über 4000 Besuchern jährlich steht ein Team aus sieben, überwiegend teilzeitbeschäftigten Mitarbeitern: Theaterpädagoginnen und -pädagogen, Sozialarbeiter, PR- und Bürofachkräfte sowie zahlreiche Praktikantinnen und Praktikanten aus den o.g. Bildungseinrichtungen, aber auch aus Polen und aus der Türkei. Sieben Tage und Abende pro Woche unterstützen, organisieren und betreuen sie aus ihrem Organisationsbüro in der Friedenauer Cranachstraße die nimmermüden Spielerinnen und Spieler, die kooperierenden Einrichtungen und letztlich das Publikum – damit die Alten richtig Theater machen können.
Förderung
Das Projekt in der Trägerschaft des Nachbarschaftsheims Schöneberg e. V. wird gefördert durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung sowie den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (LV Berlin).


Förderverein

Der Förderverein
THEATER DER ERFAHRUNGEN e. V.
ist gemeinnützig und unterstützt die Arbeit des Theaters ideell und materiell.