Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Das Theater der Erfahrungen in Zeiten von Corona

Von Dieter Bolte

Die derzeitige Situation, bringt für alle Menschen Veränderungen mit sich, die bis vor kurzem nur in einem Katastrophenfilm vorstellbar gewesen wären. Dabei verändern sich in Anbetracht unserer aller Unsicherheit nicht nur unsere Verhaltens- sondern auch viele unserer Betrachtungsweisen. So lässt sich beispielsweise konstatieren, dass vor allem ältere und alte Menschen schon seit Beginn der Krise nicht mehr in ihrer Heterogenität wahrgenommen, sondern vielmehr in die Schublade einer homogenen Masse gesteckt werden.
Da werden von politischer Seite bereits Stimmen laut, die eine langfristige Isolierung von Menschen über 65 fordern, was viele Menschen dieser Altersgruppe verständlicherweise empört auf die Barrikaden treibt: Sie verweisen auf ihre Agilität und körperliche Fitness, die es mit der von weitaus Jüngeren durchaus noch aufnehmen kann.

Die Diskussion darüber, ob und auf welche Weise Menschen im fortgeschrittenen Alter besonders geschützt werden müssen, ist also im vollen Gange. Ein besonders schwer wiegendes Argument ist dabei zweifellos, dass ihre Kategorisierung als vom Tod bedrohte Risikogruppe natürlich auch die Gefahr einer Altersdiskriminierung birgt, die im schlechtesten Falle nachhaltig das positive Altersbild beschädigt, das sich in den letzten Jahren herausgebildet hat, ein Altersbild, für das sich das Altentheater-Projekt Theater der Erfahrungen (TdE) des Nachbarschaftsheims Schöneberg e.V. seit seiner Gründung vor mittlerweile 40 Jahren nachdrücklich einsetzt und durch seine Arbeit mitgestaltet – auch und gerade jetzt, in Zeiten von Corona. 

Theater machen, wenn kein Theater mehr möglich ist

Dass die derzeitig herrschenden Einschränkungen gerade die Älteren besonders hart treffen, wissen wir beim TdE mittlerweile nur zu gut. Unsere Spielerinnen und Spieler, allesamt im Rentenalter, haben aufgrund der Kontaktbeschränkungen nun keine Möglichkeiten mehr, ihrer Theaterleidenschaft nachzugehen, die für die allermeisten von ihnen viel mehr als einfach nur ein Zeitvertreib darstellt. Wie sie uns in regelmäßigen Telefonaten und E-mails wissen lassen, vermissen sie die wöchentlichen Proben, in denen ihre selbst entwickelten Stücke entstehen und ihnen fehlen die regelmäßigen Auftritte in Berliner Altenheimen, Seniorenfreizeitstätten oder Schulen, der verbundene soziale Austausch untereinander und das Spielen vor Publikum.

Aber auch wir als Team des Theaters müssen uns damit abfinden, dass der Proben- und Auftrittsbetrieb ruht und unser einrichtungseigener Theaterbus, in dem wir normalerweise Bühnenbilder und die dazugehörige Technik transportieren, bis auf Weiteres stillsteht.

Besonders bitter ist dabei, dass wir alle geplanten Veranstaltungen zum diesjährigen vierzigsten Geburtstag des Theaters auf nicht absehbare Zeit verschieben mussten –  geplant waren unter anderem ein spezieller und von unseren Spielerinnen und Spielern mitgestalteter Festakt in der ufafabrik in Tempelhof, die Eröffnung einer Wanderausstellung zur Geschichte des TdE unter dem Titel „Rampenlicht statt Rückzug“ im Nachbarschaftshaus Friedenau und ein internationales Symposium zum Thema Altentheater in der Alice Salomon Hochschule in Hellersdorf.

Stattdessen stehen wir nun vor der Herausforderung unsere Arbeit umzustrukturieren und neu auszurichten und das betrifft natürlich nicht nur die direkte Arbeit mit unseren Theatergruppen. Da deren Aufführungen als wertvollster Faktor unserer Wahrnehmbarkeit  wegfallen, betreffen die nun nötig gewordenen Veränderungen auch die Öffentlichkeitsarbeit: Unser monatlich erscheinende Newsletter wird nun schon seit Mitte März durch einen in jeder Woche herausgebrachten Theaterrundbrief ergänzt, daneben erweitern wir unsere Internetpräsenz durch einen Ausbau unserer Facebook-Aktivitäten.

Aber auch die Arbeit mit unseren Spielerinnen und Spielern haben wir den neuen Gegebenheiten angepasst: der regelmäßige Telefonkontakt und E-mail-Verkehr mit ihnen verläuft nun intensiver als zuvor und zwei Gruppen halten nun, statt zu proben, wöchentliche Telefonkonferenzen ab. Neben dem gerade jetzt so wichtigen Austausch über das individuellen Befinden, werden dabei zum einen bereits begonnene Projekte fortgeführt, zum anderen gemeinsam neue Vorhaben diskutiert und entwickelt.     

Eine der größten Schwierigkeiten bei all diesen Veränderungen besteht allerdings darin, dass nach wie vor und trotz aller schon bestehenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen, noch gar nicht absehbar ist, ob und wann für Seniorinnen und Senioren wieder alles so sein wird, wie in der Zeit zuvor. Für eine Altenkulturarbeit wie wir sie beim TdE verstehen, reicht es im Hinblick auf weitere Anpassungen an die derzeitige Situation also nicht aus, neue Formen zu finden, die nur kurzfristige Perspektiven aufzeigen. Vielmehr geht es auch jetzt darum, Projekte mit einer gewissen Langzeitwirkung auf den Weg zu bringen, die einerseits dazu beitragen, der drohenden sozialen Isolation der Betroffenen vorzubeugen und ihnen andererseits Angebote machen, die ihnen neue Möglichkeiten zur Kreativitätsentfaltung bieten.   

Schreiben, Filmen, Lieder singen…

In den letzten Wochen haben wir deshalb einige Vorhaben auf den Weg gebracht, mit denen wir versuchen, die derzeitige Phase trotz der schwierigen Bedingungen zu gestalten, statt sie nur irgendwie zu überstehen. Wir wollen weiterhin handeln statt nur zu reagieren – und das natürlich unter aktiver Beteiligung unserer Spielerinnen und Spieler.
Drei dieser Projekte sollen hier exemplarisch vorgestellt werden:     

Ende März haben wir die Homepage des Theaters um die Rubrik „Kreativ in Zeiten von Corona“ sowie "Beiträge der Spieler_innen" erweitert, in der kreative Arbeiten unserer Spielerinnen und Spieler veröffentlicht werden. Diese wird so gut angenommen, dass sie nun schon seit Wochen stetig wächst und schon jetzt als Materialsammlung für eventuelle spätere Bühnenprojekte dienen könnte. Die mittlerweile über 70 Beiträge reichen dabei von Gedichten und kurzen Texten, über Fotostrecken und selbstgedrehten kleinen Filmchen bis hin zu selbstgemalten Bildern, sowie Tonaufnahmen bekannter oder selbstgedichteter Lieder.     

Darüber hinaus wurde eine Aktion initiiert, um den Zusammenhalt unsere Spielerinnen und Spieler zu stärken und die seit Anfang April mit großem Erfolg umgesetzt wird. Die daran Teilnehmenden schreiben sich dabei in jeder Woche gruppenübergreifend Briefe oder Postkarten. Ein von einem unserer Spieler berechneter Algorithmus sorgt dabei dafür, dass man nicht in jeder Woche der oder demselben schreibt und auch immer wieder von jemand anderem Post bekommt; mit zunehmender Dauer des Projekts kommen so auch immer mehr Spielerinnen und Spieler in Kontakt, die sich bisher noch nicht so gut kannten.  

Das gerade anlaufende Video-Projekt „Als dem Theaterkarren die Deichsel brach“ stellt wiederum den Versuch dar, ein Betätigungsfeld für die Talente unserer Spielerinnen und Spieler herzustellen, denen sie durch die fehlenden Proben und Auftritte momentan am wenigsten nachgehen können: ihrer Spielfreude und Lust am Theaterspielen.

Ziel ist dabei die Produktion eines Films, in dem einzelne Sequenzen mit jeweils einer Spielerin oder einem Spieler aus bereits bestehenden Stücken des Theaters zu einer neuen Geschichte verbunden werden. Die Einzelsequenzen werden dabei unter Einhaltung der geltenden Abstandsregeln jeweils im persönlichen Umfeld der Spielerinnen und Spieler gefilmt – sie agieren dabei mit den entsprechenden Kostümen und Requisiten, vor ihrer Wohnungstür, in ihrem Hauseingang oder auf ihrem Balkon.      

Geplant ist, die Uraufführung des fertigen Films dann auf der Streaming-Plattform eines langjährigen Kooperationspartners des TdE sattfinden zu lassen, der ufafabrik in Tempelhof.

Wie geht es weiter?

Natürlich sind die hier beschriebenen Projekte nicht die einzigen Vorhaben, die uns gerade beschäftigen: so bereiten wir gerade die Eröffnung der angesprochenen Wanderausstellung zum 40jährigen Geburtstag des TdE via Internet vor, halten – auch unter Mithilfe unserer Spielerinnen und Spieler – weiterhin den Kontakt zu Veranstaltern aufrecht und suchen nach neuen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern wie der Alice Salomon Hochschule.

Und natürlich machen wir uns auch bereits Gedanken darüber, wie unsere Arbeit weitergehen könnte, falls Lockerungen eintreten, die wieder einen regelmäßigen, wenn auch eingeschränkten, Probenbetrieb zulassen würden – verbunden mit Überlegungen zu Theaterformen, sie sich zu zweit oder in kleineren Gruppen und unter Einhaltung der Abstandsregeln realisieren lassen.  

Natürlich sind diese Überlegungen und Pläne noch nicht alle bis ins letzte Detail ausgearbeitet und entwickelt, wie sollten sie das in dieser Zeit der Ungewissheit auch? Aber im Bewusstsein dessen, dass wir höchstwahrscheinlich noch für einen ziemlich langen Zeitraum flexibel agieren werden müssen, dienen uns als Leitplanken unserer zukünftigen Arbeit und bilden die Grundlage der Motivation für unsere Spielerinnen und Spieler, als auch für uns als Team.

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Kontakt

Theater der Erfahrungen - Werkstatt der alten TalenteVorarlberger Damm 112157 BerlinStandort / BVG Fahrinfo
Theater der Erfahrungen - Werkstatt der alten TalenteVorarlberger Damm 112157 Berlin
030 8 55 42 06Fax 030 8 55 43 78E-Mail senden
LeitungEva Bittner, Prof. Johanna Kaiser (Alice Salomon Hochschule Berlin)

Förderung

Die Werkstatt der alten Talente in der Trägerschaft des Nachbarschaftsheims e.V. wird seit 2008 unterstützt durch die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sowie den Europäischen Sozialfonds (ESF), weiterhin gefördert vom Deutschem Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Alice Salomon Hochschule Berlin.

 

Förderverein

Der Förderverein
THEATER DER ERFAHRUNGEN e. V.
ist gemeinnützig und unterstützt die Arbeit des Theaters ideell und materiell.

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